Kopf und Füße so weit sie auch im physischen Verstand voneinander liegen, so nah liegen sie sich doch im moralischen und psychologischen, Freude und Traurigkeit zeigen sich kaum so bald an der Nase, die doch kaum 3 Zoll von der Seele wegliegt, als in den Füßen, ich kann dieses täglich an meinem Fenster bemerken, wo ich deutlich an den Füßen der Studenten sehen kann ob sie aus einem Collegio kommen oder in eines zu gehen willens sind, jenes an der platt auffallenden Sohle, die den Hunger der regierenden Seele verrät, dieses an dem schmachtenden Schritt, wo Absatz und Zehen etwas langsamer nacheinander auf zu liegen kommen, der allemal ein Zeichen der kurz vorhergegangenen Sättigung ist. Bei denen Studenten, wo ich nichts dergleichen bemerken konnte, habe ich nach der Hand fast allemal erfahren, daß sie zugleich in ein Kolleg gehen und aus einem kommen. Bei dem Catilina, wie die lateinischen Schriftsteller sagen, soll dieses so merklich gewesen sein, daß einige Leute schon lange vorher, ehe Cicero die berühmte Konspiration in desselben Kopf entdeckte, sie schon wollten in seinen Füßen beobachtet haben, er ging nämlich zuweilen auf der Straße ganz ordentlich, dann langsam, dann kehrte er um, als wenn er sein Schnupftuch vergessen hätte, dann stund er gar still, dann auf einmal lief er, bis daß ein neues Projekt wieder quer vor ihn hin trat und ihn still stehen machte. Bei unserem verblaßten Freund konnte man nichts sowas bemerken, er hinkte sehr stark und sein Gang sah fast immer aus als eines, der zugleich in ein Collegium geht und aus einem herausgkommt. Ich versuchte andere Mittel hinter seinen Charakter zu kommen. pp.
Lichtenberg: Sudelbücher - Heft B-121