Liebste Freunde
Bei jeder Veränderung unseres Zustandes werden uns gewöhnlich
eine Menge von Dingen bald zu weit und bald zu enge, kurz
unbrauchbar. So wie wir ein Paar Hosen verwachsen, so verwachsen
wir Umgang, Bibliotheken, Grundsätze und dergleichenq zuweilen
ehe sie abgenutzt sind, und zuweilen, welches der schlimmste Fall
ist, ehe wir neue haben. Ich werde meinen Zustand bald verändern,
eine gewisse Sehnsucht* nach einem andern Leben, und ein inneres
Gefühl meiner Fähigkeit dazu lassen mich diesen wichtigen Schritt
nicht um eine Woche weiter hinaussetzen, als die Ostermesse 1770.
Meine Füße wollen den Körper nicht mehr mit der Leichtigkeit
tragen, die dem Studenten geziemt, sondern fallen öfters ohne daß
ich es weiß in den mehr abgemessenen säenden Tritt der höhern
Geschäfte. Im Kolleg werde ich für einen einzigen Platz zu breit,
kurz ich fühle mich reif dieses angenehme Leben zu verlassen, und
mich meinen Vätern immer mehr und mehr zu nähern.
Außer meinem unsichtbaren Vermögen, etlichen Kleidungsstücken,
und ein paar Büchern werde ich alles zurücklassen, auch einige
Lebens-Regeln, für welche ich reelle Auslage getan habe und für
welche man mir nirgends etwas gibt, werde ich nicht mitnehmen.
Um aber eine Plünderung ab intestato zu vermeiden, so habe ich
meinen letzten Willen hiermit bekannt machen wollen.
Du mein lieber L. würdest mich sehr verbinden wenn du meine
Stube nehmen wolltest. Ich habe allezeit von einer Stube größere
Begriffe gehabt, als der gewöhnliche Teil der Menschen. Ein großer
Teil unserer Ideen hängt von ihrer Lage ab, und man kann sie für eine
Art von zweitem Körper ansehen. Ich sähe sie nicht gern entheiligt,
du bekommst wenn du sie nehmen willst meinen sehr rechtschaffenen
Wirt, mein Barometer, und 6 Land-Karten, die ich an die Tapete
geklebt habe, auch das Thermometer in der Kammer ist dein. Du
wirst dafür das kleine onus tragen einem ehrlichen gebrechlichen
Armen, der alle Sonnabend an das Fenster kommen wird, jedes mal 4
Pf. zu geben. 144 solcher Almosen machen erst den Wert eines
gemeinen Barometers, das meinige kostet wohl mehr.
Du mußt bedenken daß, hätte ich 50 Schritte weiter hinunter, um
die Ecke herum, gewohnt, ich so wenig der Mensch wäre, der ich
jetzo bin, als wenn ich 100 Meilen mehr mittäglich wäre empfangen
worden. Einen gewissen herrschenden Grundsatz meines Tuns hätte
ich noch nicht gefunden, wenn damals der Tisch vor meinem einen
Fenster gestanden hätte der jetzo da steht, so leicht läßt sich das
Fahrzeug drehen, das wir, mit unserer zeitlichen und - - ewigen
Glückseligkeit an Bord, durch diese Zeit fortzutreiben haben, die
mindeste Bewegung teilt sich dem Steuerruder mit. Morgen ist es
Sonntag, wenn ich wüßte wo diejenige Stube sein wird, die für die
beste Observation vom Fenster die glücklichste Lage hat, ich böte
dem Menschen der darauf wohnt 100 Taler für einen Platz, weil
dieses nicht geschehen kann, so will ich mich wenigstens bemühen
bei einer aus meinem Fenster den besten Gedanken zu haben.
Lichtenberg: Sudelbücher - Heft B-249