Einem Sänger sanfter Empfindungen, der einmal glaubt poetisches Zuckergebackenes sei eine würdige Speise für die menschliche Seele, ein Brot des Lebens für das Herz, ist so schwer mit Gründen beizukommen, als dem Idealisten, der mit dem Zauberstab seiner unumschränkten Imagination, mit einem Streich Widerlegungen und Verteidigungen zu Tausenden schafft, durch welche zu dringen keinem Fleisch verstattet ist. Es gibt keine Sprache die gradezu in die Vernunft redet, alle nimmt ehe sie eingelassen wird etwas von dem Ton der geistigen Hülle an, hinter welcher jene liegen muß. Wie soll ich einen jungen Schwätzer überzeugen, bei dem der Tag der Vernunft sich zu einer weichlichen Dämmerung geneigt hat, bei der nur weniges sichtbar bleibt, das hinlänglich ist eine verzärtelte Einbildungskraft mit Bildern einer tändelnden Wollust zu versehen. Der Brief des Herrn Jacobi an die Gräfin, die ihm Wielands Musarion schenkte, ist in der Tat die Frucht einer in Zärtlichkeit und Tändelei zerschmelzenden Vernunft, die, wie ich fürchte, gänzlich zerfließen wird, wenn nur noch aus ein paar Journalen daruntergeblasen wird. Ich befürchte eben nicht aus dem Einreißen dieses Geschmacks einen Verfall der Wissenschaften, denn diese Wissenschaften haben nie wohl gestanden, die der weichliche Hauch einer solchen Tändelei umkehren kann. Aber unsere guten Mädchen werden dadurch verdorben, die stille weibliche Grazie, die eine ebenso große Frucht richtiger Empfindungen ist, als die männliche Philosophie, und gewiß eine weit mächtigere und schönere, wird unter einem Räsonnement in Diminutivchen, über Diminutiv-Ideen erstickt, und dadurch wird es noch eine Art von Zärtlichkeit geben, so wie es noch eine Art von Sachen der Kunst zu urteilen gibt, eine verbelle und eine reelle. Wieland hat für das Herz gesungen und gesprochen. Seine Leichtigkeit ist nicht die bezahlte oder lobbegierige Leichtigkeit eines Tanzmeisters, sondern die auf gesunde Richtigkeit der Glieder gegründete eines Merkurs. Seine Werke können sich mit offener Stirn allen Jahrhunderten zeigen, und wenn sie ihnen nicht gefallen unerschrocken sprechen: O der Barbarei! Wenn ich einmal sein Leben herausgebe, so suchen Sie gleich im Index die Wörter Bouteille und Selbst-Genuß auf, sie enthalten das Wichtigste von ihm.
Lichtenberg: Sudelbücher - Heft B-251