Man hätte immer weg denken und leben können ohne sich um die Art unsres Denkens und wie es zugehe zu bekümmern, gewiß hat man erst über Dinge außer uns philosophiert, bis endlich einer dieses Mikroskop auch auf sich selbst richtete. Wie geht es zu daß wir denken? fragte sich einer, der Neugierde und Beobachtungs-Geist besaß: nicht jeder Mensch, o Millionen von Menschen, manchen Professor, der die Psychologie erklärt, selbst nicht ausgenommen, würden nie eine solche Frage getan haben. Wie viele Menschen fragen heutzutage: warum fällt alles nach der Erde? Die Kraft, die das tut und die Euler so wenig kennt als Rudolph von Bellinckhaus, ist so notwendig zu unserer zeitlichen Glückseligkeit, als immer die uns denken machende zur ewigen. Die Wirkungen der ersten haben viele Geistern zugeschrieben, ich habe aber nicht Kenntnis der Geschichte der menschlichen Thorheiten genug dazu, um zu wissen ob je ein ehrgeiziger Religionsstifter die Versöhnung dieser Geister an die notwendigen Pflichten der Menschen angereihet hat, und durch deren Unterlassung es einmal dahin kommen könnte, daß unsre nicht mehr schwere Hülle durch die Himmel zerstiebe. Aus der Hypothese, daß es ein Geist sei, was in uns denkt, hat man erstaunliche Folgen gezogen und die Religionsstifter andere Meinungen, die nicht unmittelbar aus der Hypothese folgen, daran gehängt, und so stützt sie nunmehr die Gesellschaft so wie jene Kraft die Feste des Himmels. Dieses Gebäude ist zu groß, als daß ein menschlicher Plan zum Grund liegen kann, ich wollte eher glauben, daß die Zeugung eine menschliche Erfindung sei. Hier ist Gott. Aber der, der uns durch die größte sinnliche Wollust zur Fortpflanzung zog, der kam uns durch eingepflanzte Andacht zu einem bloß zeitlichen Wohl zusammenziehen; aber hieße das nicht betrogen?
Uns scheint es Betrug.
Lichtenberg: Sudelbücher - Heft C-89