Ein Unterschied zwischen unsern Dichtern und denjenigen Alten, die ich kenne, und einigen Engländern, der einem gleich (in) die Augen fällt, ist der, daß sie selbst in ihren Oden Dinge gesagt haben, die nachher die Philosophen brauchen können. So zitiert Beattie den Milton, sowie er sich auf die Natur beruft. Hingegen selbst diejenigen unter uns die großes Aufsehen unter der Jugend und einigen bejahrten Vornehmen gemacht haben sind entsetzlich darin zurück. Die Sprache der alten Dichter ist die Sprache der Natur schon in eine menschliche übersetzt, unsere neuem sprechen die Sprache der Dichter unabhängig von Empfindung, das heißt eine verrückte, was sie sagen hat scheinbaren Zusammenhang und ist oft zufälliger Weise richtig. Die Ursache ist, sie bilden sich nicht durch Beobachtung sondern durch Lesen, und man kann ja nicht verstehen wovon man keinen Begriff hat. Sie glauben die gerühmten Alten wären das, für das sie sie ansehen, und ahmen sie als solche nach. Horaz hat gewiß nicht für Leute geschrieben, die von einer Stadtschule auf Universitäten gehen, nicht einmal für die Lehrer solcher Leute, er konnte nicht für sie schreiben nachdem er am ersten Hof der Welt gelebt hatte. Jedermann schreibt am leichtesten für die Klasse von Menschen unter die er gehört, ich meine nicht unter die er in der Welt laut gerechnet wird. Wenn wir hätten was er als Primaner geschrieben hat, das möchte vielleicht einem Primaner ganz verständlich sein, wenigstens einem römischen. Ich sage nicht, daß ein Dichter lauter Schönheiten haben soll, die nur dem Weltkenner verständlich sind. Nein sie sollen auch hierin der Natur folgen, die für das unbewaffnete Auge, ja selbst für den Blinden ihre Schönheiten hat, den silbernen Mond hinhängt dem Wanderer zu leuchten, Mayern seinen Lauf zu bestimmen und dem Kinde auf dem Arme mit beiden Händen darnach zu greifen. Viele die dieses lesen werden, werden sich oft heimlich gesagt haben daß ihnen die Alten nicht so schmecken als manche Neuem. Ich muß bekennen, es ist mir selbst so gegangen, ich (habe) manche bewundert ehe sie mir gefallen haben, hingegen haben mir auch manche gefallen ehe ich sie verstanden habe. Und ich bin überzeugt, es geht manchen Personen so die Kommentarien über diese Werke geschrieben haben. Ich habe den Horaz lange vorher bewundert ehe er mir gefallen, ich mußte es tun, so wie man in Wien niederfallen muß wenn das kommt was man dort das Venerabile nennt. Und Milton und Virgil haben mir eher gefallen ehe ich sie verstanden habe. Nachdem ich bekannter mit der Welt geworden bin, nachdem ich angefangen habe selbst Bemerkungen über den Menschen zu machen, nicht niederzuschreiben, sondern nur aufmerksam zu sein, und mich dann, wenn ich in diesem Schriftsteller las, meiner Bemerkung wieder zu erinnern, da fand ich daß grade was ich in jenem Dichter als unbrauchbares Gestein weggeworfen hatte grade das Erz war, ich versuchte es nun mit andern Stellen, mit denen meine Bemerkung noch nicht zusammengetroffen war, dieses machte mich im gemeinen Leben aufmerksam, und seit der Zeit (ich bekenne gern, daß es noch nicht lange ist) wächst meine Bewunderung jener Männer täglich, und ich schätze mich glücklich, daß ich von Grund meines Herzens überzeugt bin, daß sie die Unsterblichkeit verdienen, die sie erhalten haben. Wer sich in dieser Art die Alten zu lesen etwas geübt hat, der gehe nun einmal in die Neueren hinein. Er wird nicht allein keine Beschäftigung finden, sondern wird oft einen geheimen Unwillen bei sich verspüren, wenn er sieht, was für einen Ruhm diese Leute erhalten haben, und daß es einem für Unverstand ausgelegt werden würde, wenn man es öffentlich bekennen wollte, allein ich denke, laßt sie gehen, sie gehn gewiß nicht durch das feine Sieb womit die Zeit unsere Werke der Ewigkeit zusichten wird. Kein Buch kann auf die Nachwelt gehen, das nicht die Untersuchung des vernünftigen und erfahmen Weltkenners aushält, selbst die Farce, die Schnurre muß Ergötzung für diesen Mann in sich enthalten und sie kann es, wenn sie zur Ewigkeit gehn soll, geschieht es zuweilen, daß solche Dinge doch fortdauern, so ist es mehr den messingenen Krappen zuzuschreiben. Der Beifall der Primaner und der Zeitungsschreiber ist, so wie ihr Tadel in Absicht des Ruhms eines Werks das ein Tropfen im Weltmeer ist. Ihren gerechten Tadel wird der Fels der Vergessenheit der schon hängt um sich über alles Elende zu wälzen mit dem Werk zugleich bedecken und mit ihrem Ungerechten können sie so wenig einem Werk den Weg zur Unsterblichkeit verhauen, als die eintretende Flut mit einem Kartenblatt zurückfächeln. Dem Verfasser können sie allerdings schaden, den Leib können sie töten aber nicht die Seele. In der Tausend und einen Nacht ist mehr gesunde Vernunft als viele von den Leuten glauben, die Arabisch lernen, sonst hätten wir vermutlich schon Übersetzungen von den übrigen Bänden.
Lichtenberg: Sudelbücher - Heft E-254