26. Bei den meisten jungen Leuten, die ich gekannt habe, hat sich mit der Idee und dem Wort Genie eine andere Idee assoziiert die, ich wette, im Gehirn ganz nah an den Ohren liegen muß, etwas von aufsausendem und dann schneidendem Schwung auf Flügeln des Adlers bis zur Sonne, daher sie kaum das Wort Genie aussprechen können ohne sich auf die Zehen zu stellen, oder wenn sie sitzen aufwärts zu sehen. Wo ich nicht sehr irre, so kommt es daher, daß man glaubt mit Genie lasse sich unmöglich von dem getretenen Pfade aus etwas Gutes sehen, sondern man müsse notwendig durch die Hecken brechen, Felder zertreten, Staub machen, spritzen und sprengen um etwas zu finden. Daher beruhigt sie nur ein abgebrochner Stil, Sätze, Halbgedanken und halb neues Wort. Dem Dichter-Genie will ich ein solches Bild nicht absprechen, nur muß sich der Philosoph kein solches Bild davon machen wollen. So viel ist gewiß, keine Nation führt das Wort Genie so oft im Munde als die deutsche seit 6 bis 8 Jahren, und nie sind die Genies seltner gewesen. Es ließe sich eine Bibliothek von deutschen Büchern sammeln, wo das Wort auf jedem Blatt, die Sache aber selbst gar nicht vorkommen müßte. Der Henker halte sich da in Grenzen wenn man das Genie mit einem Feuerstrom vergleicht, dessen Wellen unaufhaltbar dahinbrausen, und durch seinen Glanz und Lärm Blindheit und Taubheit über das Geschlecht der Zaunkönige verbreitet. Sobald ein ehrlicher Mann, der es aus der Zeitung weiß, daß er ein Genie ist, und ein paar kleine Bemerkungen gemacht hat, soll er sie etwa ebenso dünne sagen wie Leibniz, Locke, Hartley, das ist nicht möglich, er sprudelt, schäumt, ergießt sich, reißt Sense-Körner und Nonsense-Felsen wie Häuser mit sich fort, und schwillt und braust und schallt mächtig von Straßburg bis Königsberg. Wenn ich etwas zu sagen (hätte) , so ließ ich bei Strafe des Stranges verbieten künftig das Genie mit einem Strom zu vergleichen, oder wenigstens einen ganz stillen langsamen und tiefen dazu zu nehmen... und brauset und schallt, daß dem Echo die Ohren gellen und die Zunge erstarrt. Kann so im Parakletor vorgetragen werden. Wir halten nicht viel auf gute Gleichnisse, mich dünkt ein gutes Gleichnis ist etwas, worauf sogar die Polizei ein Auge haben sollte. Es wird wohl niemand leugnen daß wir den wahrhaften Segen an Genies, den Deutschland in den letzten übrigens traurigen Wein- und Kornjahren gehabt hat, und wofür man in England oder in dem alten Griechenland, wo die Genies seltner waren als bei uns, im Kirchengebet gedankt haben würde, daß wir diesen unsern herrlichen Gleichnissen von dem Genie zu danken haben. Denn seitdem (sie) die Gleichnisse vom brausenden Feuerstrom, der seine Sonnenwellen unaufhaltsam dahin rollt, eingeführt haben u. 5. w. Hätte man ehmals, wie der Eigennutz noch nicht so eingewurzelt war, die Wohltätigkeit mit einer Klette verglichen, die sich an die Dürftigkeit (das Verdienst) anhängt, ich glaube die großen Herren steckten den Gelehrten die Dukaten zum Maule hinein wenn sie sie nicht nehmen wollten. Jedermann kennt die Wirkung der Trommel, sie erhebt unser ganzes Wesen, und neben dem Zapfenstreich herlaufen ist kein geringer Genuß. Ich habe bemerkt, daß die besten Oden in See- und Waldstätten gemacht werden. Man vergleiche das Dichter-Genie mit einem langsamen stillen und tiefen Strom, so wird man allenfalls langsam und in der Stille tief gehen, und damit sind wir fertig.
Lichtenberg: Sudelbücher - Heft E 497