Georg Christoph Lichtenberg sudelte:
Ein Unterschied zwischen unsern Dichtern und denjenigen Alten,
die ich kenne, und einigen Engländern, der einem gleich (in) die
Augen fällt, ist der, daß sie selbst in ihren Oden Dinge gesagt haben,
die nachher die Philosophen brauchen können. So zitiert Beattie den
Milton, sowie er sich auf die Natur beruft. Hingegen selbst
diejenigen unter uns die großes Aufsehen unter der Jugend und
einigen bejahrten Vornehmen gemacht haben sind entsetzlich darin
zurück. Die Sprache der alten Dichter ist die Sprache der Natur
schon in eine menschliche übersetzt, unsere neuem sprechen die
Sprache der Dichter unabhängig von Empfindung, das heißt eine
verrückte, was sie sagen hat scheinbaren Zusammenhang und ist oft
zufälliger Weise richtig. Die Ursache ist, sie bilden sich nicht durch
Beobachtung sondern durch Lesen, und man kann ja nicht verstehen
wovon man keinen Begriff hat. Sie glauben die gerühmten Alten
wären das, für das sie sie ansehen, und ahmen sie als solche nach.
Horaz hat gewiß nicht für Leute geschrieben, die von einer
Stadtschule auf Universitäten gehen, nicht einmal für die Lehrer
solcher Leute, er konnte nicht für sie schreiben nachdem er am
ersten Hof der Welt gelebt hatte. Jedermann schreibt am leichtesten
für die Klasse von Menschen unter die er gehört, ich meine nicht
unter die er in der Welt laut gerechnet wird. Wenn wir hätten was er
als Primaner geschrieben hat, das möchte vielleicht einem Primaner
ganz verständlich sein, wenigstens einem römischen. Ich sage nicht,
daß ein Dichter lauter Schönheiten haben soll, die nur dem
Weltkenner verständlich sind. Nein sie sollen auch hierin der Natur
folgen, die für das unbewaffnete Auge, ja selbst für den Blinden ihre
Schönheiten hat, den silbernen Mond hinhängt dem Wanderer zu
leuchten, Mayern seinen Lauf zu bestimmen und dem Kinde auf
dem Arme mit beiden Händen darnach zu greifen. Viele die dieses
lesen werden, werden sich oft heimlich gesagt haben daß ihnen die
Alten nicht so schmecken als manche Neuem. Ich muß bekennen, es
ist mir selbst so gegangen, ich (habe) manche bewundert ehe sie mir
gefallen haben, hingegen haben mir auch manche gefallen ehe ich sie
verstanden habe. Und ich bin überzeugt, es geht manchen Personen
so die Kommentarien über diese Werke geschrieben haben. Ich habe
den Horaz lange vorher bewundert ehe er mir gefallen, ich mußte es
tun, so wie man in Wien niederfallen muß wenn das kommt was man
dort das Venerabile nennt. Und Milton und Virgil haben mir eher
gefallen ehe ich sie verstanden habe. Nachdem ich bekannter mit der
Welt geworden bin, nachdem ich angefangen habe selbst Bemerkungen über den Menschen zu machen, nicht niederzuschreiben,
sondern nur aufmerksam zu sein, und mich dann, wenn ich in
diesem Schriftsteller las, meiner Bemerkung wieder zu erinnern, da
fand ich daß grade was ich in jenem Dichter als unbrauchbares
Gestein weggeworfen hatte grade das Erz war, ich versuchte es nun
mit andern Stellen, mit denen meine Bemerkung noch nicht
zusammengetroffen war, dieses machte mich im gemeinen Leben
aufmerksam, und seit der Zeit (ich bekenne gern, daß es noch nicht
lange ist) wächst meine Bewunderung jener Männer täglich, und ich
schätze mich glücklich, daß ich von Grund meines Herzens
überzeugt bin, daß sie die Unsterblichkeit verdienen, die sie erhalten
haben. Wer sich in dieser Art die Alten zu lesen etwas geübt hat, der
gehe nun einmal in die Neueren hinein. Er wird nicht allein keine
Beschäftigung finden, sondern wird oft einen geheimen Unwillen
bei sich verspüren, wenn er sieht, was für einen Ruhm diese Leute
erhalten haben, und daß es einem für Unverstand ausgelegt werden
würde, wenn man es öffentlich bekennen wollte, allein ich denke,
laßt sie gehen, sie gehn gewiß nicht durch das feine Sieb womit die
Zeit unsere Werke der Ewigkeit zusichten wird. Kein Buch kann auf
die Nachwelt gehen, das nicht die Untersuchung des vernünftigen
und erfahmen Weltkenners aushält, selbst die Farce, die Schnurre
muß Ergötzung für diesen Mann in sich enthalten und sie kann es,
wenn sie zur Ewigkeit gehn soll, geschieht es zuweilen, daß solche
Dinge doch fortdauern, so ist es mehr den messingenen Krappen
zuzuschreiben. Der Beifall der Primaner und der Zeitungsschreiber
ist, so wie ihr Tadel in Absicht des Ruhms eines Werks das ein
Tropfen im Weltmeer ist. Ihren gerechten Tadel wird der Fels der
Vergessenheit der schon hängt um sich über alles Elende zu wälzen
mit dem Werk zugleich bedecken und mit ihrem Ungerechten
können sie so wenig einem Werk den Weg zur Unsterblichkeit
verhauen, als die eintretende Flut mit einem Kartenblatt zurückfächeln. Dem Verfasser können sie allerdings schaden, den Leib
können sie töten aber nicht die Seele. In der Tausend und einen
Nacht ist mehr gesunde Vernunft als viele von den Leuten glauben,
die Arabisch lernen, sonst hätten wir vermutlich schon Übersetzungen von den übrigen Bänden.
Lichtenberg: Sudelbücher - Heft E-254