Georg Christoph Lichtenberg sudelte:

Etwas über die Poltergeister.
Wenn es in einem Zimmer, worin ich nicht bin, poltert, oder auch in demselben Zimmer worin ich mich befinde, nur hinter mir, so daß ich es nicht sehe, wie müssen die Wirkungen beschaffen sein um daraus zu schließen, das habe ein Geist getan? Ehe ich mich auf die Beantwortung dieser Frage einlasse, will ich erst folgende Betrachtungen anstellen. Wenn man sich mit Untersuchung der Natur beschäftigt, so stößt man überall auf Vorfälle, die man nicht erklären kann, dieses ist den größten Männern begegnet. Ja die gemeinsten Vorfälle wissen wir uns nicht zu erklären. Warum ein Ball der in die Höhe geworfen wird wieder nach der Erde fällt und nicht in das Unendliche hinaus fliegt, ist den größten Menschen so unerklärlich gewesen, als dem Knaben, der ihn wirft. Wären wir nicht gewohnt, solche Erscheinungen alle Tage zu sehen, so würden wir gewiß glauben ein Geist aportierte den Bille immer wieder. So ist die Wirkung unsrer Seele auf den Körper so unerklärlich, daß eine berühmte philosophische Sekte den erhabensten Geist, Gott selbst in das Spiel gezogen und ihm die Veränderungen in unserm Körper unmittelbar zugeschrieben hat. So ist uns die Kraft, die die Körper zusammenhält, völlig unbewußt, zusammengeleimt oder gehakt können sie nicht sein, denn was leimt den Leim zusammen, oder durch was für Häckchen sind die Teile der Haken zusammengehakt? Doch ich will nicht von solchen Kräften reden, sondern nur fragen, wer hat die größten Muscheln auf die Spitze der Alpen getragen? Wie können Feuerkugeln davon eine auf 2000 Fuße im Durchmesser hatte in eine solche Höhe hinauf wo man glauben sollte daß die Luft keine Dünste mehr tragen könnte? Was ist das Nordlicht, die magnetische Materie? (Aberglaubische Zeitalter würden sich leicht geholfen haben. Ein Genius oder ein Gespenst hätte das Licht verrichtet. Aber weil diese ehrlichen Leute denn so geschwind im Erklären sind, so sollen sie uns nur auf eine einzige Frage antworten, was ist denn ein Gespenst?) Wie kann man, frage ich nun, Männern denen man gerne erlaubt, diese Wirkungen, die doch gleichwohl noch nicht erklärt sind, nicht für Wirkungen von Geistern zu halten, zumuten, ein Rumpeln in einer Kammer, wovon ich nicht gleich die Ursache einsehe, für Wirkungen derselben anzusehen? Man muß ihnen jenes nicht erlauben, oder dieses zugeben. Jenes Recht werden sie sich aber sogleich nicht nehmen lassen, Wirkungen, wovon ein Jahrhundert die Ursache nicht einsehen konnte, hat das 14. nachher einsehen lernen. Ehmals warf ein Gespenst, Jupiter, die Donner, keilte und polterte über den Wolken, wir wissen nun, daß es dieselbe Kraft ist die in einem Stückchen geriebenen Bemstein Staub anzieht.
Aber ist es nicht schändlich daß Vernunft bei dem Aberglauben um Beifall betteln gehn soll? Es ist eine Schande daß Menschen etwas, wovon sie .nicht gleich den Grund angeben können, durch den unerlaubtesten Machtspruch für Wirkungen der Gespenster ausgeben. Was ist denn endlich ein Gespenst? Der Aberglaube antwortet: ein Geschöpf das um Mitternacht herumkriecht die Menschen zu erschrecken; und die Vernunft: Ein Ding das mir ioomal unbegreiflicher ist, als alles unerklärte Rumpeln und Poltern der ganzen Welt. Wir hören wohl tausendmal etwas poltern, wovon wir die Ursache gleich angeben können, oder doch an einer geringen angewendeten Mühe würden angeben können, wiederum würde es Fälle geben wo es uns sehr schwer werden könnte und zuletzt Fälle wo wir es gar nicht erklären könnten, so wie unsere Vorfahren den Donner nicht erklären konnten. Nichts rechtfertigt uns, wenn wir etwas durch Gespenster erklären wollen, denn wie die daher kommen ist weit unbegreiflicher als das unerklärliche Poltern. Wären wir so sicher von dem Dasein der Gespenster überzeugt, als wir überzeugt sind daß es Beutelschneider gibt, so könnten wir von einem unerklärlichen Poltern allenfalls mit eben der Sicherheit auf ein Gespenst schließen, als wir jetzo schließen, daß uns ein Beutelschneider die Uhr gestohlen habe, sobald wir die Möglichkeit nicht einsehen wie wir sie verloren haben können.
Allein wo ist denn der Beweis, daß es Gespenster gibt? Fast alle Männer, deren Werk es ist sich mit Erforschung natürlicher Dinge abzugeben, leugnen sie oder haben die triftigsten Gründe die angeblichen Beweise nicht für gültig zu erkennen. Es kann einer ein großer Staatsmann, Soldat und Gottesgelehrter sein, allein die Eigenschaft sich mit Mut dem Vorurteil und dem Aberglauben in physischen Dingen entgegenzustellen kann ihnen fehlen. Hier kann nur der urteilen, der die Geschichte der menschlichen Irrtümer studiert hat, der weiß wie der Mensch ohne Vorsatz zuweilen sich und andere betrügt, der weiß, wie oft der Weiseste bei Erklärung der Erscheinungen in der Natur die Hand auf den Mund legen muß. Was ich bisher gesagt habe ist aber gemeiniglich nicht nötig, sich bei den gewöhnlichen Gespenster-Historien damit zu beruhigen. Man spüre nur dem Poltern nach, allein frei, durch nichts, hauptsächlich nicht durch das Ansehen der Personen geschreckt, ich bin über- zeugt, es lassen sich allemal 1000 gegen eins setzen, daß man die Ursache finden werde.
Wenn man einmal so weit in der Untersuchung gekommen ist, daß man das Poltern nicht anderswoher erklären kann, als daß es entweder mutwillige Leute oder Geister tun müssen, so glaube man nur sicher, es sind mutwillige Leute. Die Frage ist in meinen Augen nicht schwerer zu beantworten, als diese: Ich habe meine Uhr sicherlich nicht verloren, also hat sie entweder ein Geist weggeholet oder sie ist mir gestohlen, welches von beiden ist das Wahrscheinlichste? Ja es war aber in der Stunde niemand um mich als mein Bruder, gut, so hat sie mein Bruder gestohlen.
Hier muß ich gestehen, daß es zuweilen sehr schwer werden kann, diese Leute auszufinden, ja daß es in den meisten Fällen dem armen devendenten Philosophen nicht zu raten wäre sich mit Ausfindung derselben abzugeben. Ich würde, wenn ich die Vollmacht bekäme eine solche Sache zu untersuchen, nachdem alle gewöhnlichen Prüfungen fehlgeschlagen wären, eine Regel befolgen, die allerdings seltsam klingt, die mich aber gewiß auf die Ursache leiten würde: Je heiliger und unschuldiger die Miene, desto größer der Schelm. Der dem am meisten an der Entdeckung des Betrugs gelegen zu sein scheint ist der Betrüger. Wer nach allen fehlgeschlagenen vernünftigen Bemühungen hinter die Sache zu kommen nach den eben erwähnten Grundsätzen verfährt, wird gewiß seinen Endzweck erreichen.
Lichtenberg: Sudelbücher - Heft C-176